Karin Peulen

coloratura

20.12.2019 – 04.07.2020

Bereits der Ausstellungstitel ›coloratura‹ sowie seine Assoziation an das Gestalten von Tönen und Klängen verweisen auf die konzeptuelle Auseinandersetzung mit den Begriffen von Malerei und Farbe in Karin Peulens Werk. Stets Haptik und Sinnlichkeit des Materials im Auge habend untersucht sie die Möglichkeiten von Farbe und Malerei heute. Dabei bewegt sie sich auf unterschiedlichen Terrains. Sie bedient sich klassischer künstlerischer Ausdrucksformen in Papier- und Tafelbild- oder Textilarbeiten, doch darüber hinaus entstehen ihre Arbeiten in interdisziplinären Künstlerprojekten, die musische, naturwissenschaftliche, philosphische, soziale und damit auch sozialpolitische Bereiche integrieren.
Für ihre Ausstellung in Belleparais entwickelte Karin Peulen aus ein und derselben Aussicht vom Dach der Unité d‘Habitation in Marseille (Le Corbusiers wohl bekanntester und frühester Sozialwohnbau) auf einen gegenüberliegenden Plattenbau eine Art Mikrokosmos von Farbverschiebungen auf großformatigen Leinwand-Siebdrucken. Gedanken über Architektur und Raum, tatsächlichen und empfundenen, Theorien Le Corbusiers zur Farbe – etwa die Zusammenhänge von sogenannten ‚claviers de couleurs‘, Farbenklaviaturen, und ‚sentiments‘, die Gefühlszustände, Stimmungen und materialbezogene Assoziationen umfassen, werden zum Thema und untersucht. Die Technik des manuellen Siebdrucks ermöglicht ihr, Nuancierungen zu vergegenwärtigen, die sich dem RGB Modus unserer träge gewordenen Erwartungen an Farbe entgegenstellen und zugleich Figuration und Abstraktion in ein die Wahrnehmung herausforderndes Wechselspiel verwickeln.
Als welch weites Feld sich Malerei und Farbraum verstehen lassen, führte Karin Peulen in einer Zuammenarbeit mit einem Imker und einem Schäfer vor Augen. Gemeinsam entwickelten sie in ‚natural moving landscape‘ ein wissenschaftlich anmutendes Projekt, das aus dem Gebiet der Nutztierhaltung in das von Farbe und Malerei überleitet. Durch Mischungen u.a. aus Bienenwachs, Ölen und natürlichen Pigmenten entwarf Karin Peulen ein Spektrum von 120 Farben, die zur Kennzeichnung begatteter Schafe dienten. Dabei wandelte sie einen Markierungsvorgang ab, der tatsächlich in der Schafzucht vorgenommen wird. Allerdings kulminierte das farbenfrohe Treiben durch die Erhöhung der Anzahl der Böcke in einer Herde und ein häufigeres Wechseln der Markierungsfarben, die sich beim Decken eines Schafes auf demselben abzeichneten. Farb-und Zuordnungsprotokolle entwickelte Karin Peulen zu Pigment-Notationen und zweckfreien Papierarbeiten. Den lebensnahen Zyklus von Werden und Vergehen, integrierte sie experimentell und nachdenklich machend in das Projekt, indem sie die Farbwachsproben der Deckblöcke in die Bestandteile auflöste. Eine Fett-Aureole umgibt schließlich das pure Pigment, das als Nachricht von Farbe und Malerei zugleich wie ein pseudowissenschaftliches Präparat anmutet und fragil auf dem Blatt verharrt.

Karin Peulen
natural moving landscape, 2018/2019
Pigment, Bienenwachs, eigene Rezeptur
Größe variabel, in der Ausstellung ‚coloratura‘:
119 Wachsblöcke (je 6 x 9,5 cm), 172 x 48 cm

moving landscape no.1, 2018
Pigment, Bienenwachs, eigene Rezeptur, auf Papier
70 x 100 cm
Ausstellungsansicht ‚coloratura‘ (Foto: D. M. Würgert)