Wieder und Wieder. Ritual, Kontemplation, Obsession

12.05.2020 – 29.05.2020

Peter Granser, Lars Koepsel, Claudia Starkloff, Ignacio Uriarte

Videobox:
Di. Judith Albert
Mi. Anne Pfeifer & Bernhard Kreutzer
Do. Thomas Thiede
Fr. Lin Wei-Lung

In der Gruppenausstellung ‚Wieder und Wieder. Ritual, Kontemplation, Obsession‘ geht es um Wiederholungen, um künstlerische Tätigkeiten, die in den Alltag der Ausübenden, meist nach einem genau ausgeklügelten Stundenplan, fest integriert wurden. Die meisten Werke werden in kleinen unterschiedlichen Raumskulpturen präsentiert, die jeweils nur von ein bis zwei Besuchern betreten werden dürfen. Der viel beschworene „Dialog der Arbeiten“ findet nur in den Gedanken der Besucher statt. In einer Videobox wird an jedem Wochentag ein jeweils anderer Videofilm gezeigt.
Für die Münchner Künstlerin Claudia Starkloff wird im Garten Natur zur Kultur und die Pflanze zum Element eines bewussten Gestaltungswillens aufgrund eines menschlichen Bedürfnisses und geplanter Überlegung. Der Jahreslauf mit allen Festen gibt den natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen wieder. Sie fertigt, seit bereits zwei Jahren, nach alter klösterlicher Manier aus Golddraht feinste Blüten und Pflanzen. Diese wachsen täglich und verwandeln ihre Hülle, ein gläsernes Gewächshaus, in eine goldene Schmuckschatulle. Der Besucher ist eingeladen, Teil des Kreislaufs von Werden und Vergehen zu sein, und darf die kunstvollen Drahtgeflechte wieder auflösen.
Der Münchner Künstler Lars Koepsel schreibt Bücher eigenhändig und vollständig ab. Das erinnert an die Kopistentätigkeit der Mönche in vorgutenbergscher Zeit. Wie die Mönche wählt er aus dem Fundus der Bücher jene aus, die von einem über den historischen Moment hinausweisenden Interesse sind. Das bedeutet bei Koepsel: Philosophische Texte von Platon über Michel de Montaigne bis zu Ludwig Wittgenstein. Durch das Übereinanderschreiben verschiedener Textebenen wird das abgeschriebene Buch zu einem Gebilde aus Ablagerungen, es wird zu seinem eigenen Palimpsest. Gleichzeitig vollzieht sich durch die Schichtung und Drehung der Übergang vom Text zum Bild. Der regelmäßige Akt des Abschreibens kann als eine Übung betrachtet werden, die sich dem gegenwärtigen Geschwindigkeits- und Verwertungsdiktat entzieht und Körper und Geist in einer gewissen Zeitentrückung konzentriert. Für die Ausstellung hat Lars Koepsel ‚Die Göttliche Komödie‘ von Dante Alighieri (1265-1321) ausgewählt. Die ‚Divina Commedia‘ gilt als bedeutendste Dichtung der italienischen Literatur und hat gleichzeitig die italienische Sprache als Schriftsprache erst begründet. Über einen Zeitraum von achtzehn Monaten hat Koepsel das Buch auf dreimal neun Blättern zu einer dreiteiligen Komposition zusammengefasst, der Struktur der Erzählung folgend.
Die intensiven Erfahrungen längerer Aufenthalte in Japan haben den Stuttgarter Fotokünstler Peter Granser nachhaltig geprägt und manifestieren sich schlussendlich in seinem Projekt Zwischen/Raum, in dem Klang, Fotografie und Architektur zu einem neuen Ganzen verschmelzen. Der hölzerne Raum wurde mit Friederike Daumiller konzipiert und ist mit einem Tisch und Miniaturhockern ausgestattet. Öffnungen in der Außenhaut ermöglichen Ausblicke auf Fotografien, die in fremde Welten führen. Die schützende Hülle und eine Klangkomposition von Jan Jelinek verwandeln den Raum in einen Meditationsort, der zum Verweilen einlädt. An verschiedenen Tagen führt Peter Granser Teezeremonien durch, die den Raum in ein kleines japanisches Teehaus verwandeln.
Das gleichförmige, stundenlange Zählen wird zum Marathon in der Soundinstallation ‚8 Stunden zählen‘ von Ignacio Uriarte. Seine Arbeiten sind im Alltäglichen und Beiläufigen verwurzelt, werden aber über die Wiederholung und Dekontextualisierung zu etwas Besonderem.

Rituale können zum Symbol einer Gemeinschaft werden. Sie verwandeln nach Byung-Chul Han1 das In-der- Welt-sein in ein Zu-Hause-Sein. Sie machen aus der Welt einen verlässlichen Ort. Sie machen die Zeit bewohnbar, sie machen sie begehbar wie ein Haus. Unsere Gegenwart ist vom Verlust der Rituale geprägt, denn das Außergewöhnliche wird zum Alltäglichen, wird somit flach und seiner Bedeutung entleert. Die gleichförmige, ständige Intensität medialer Reize durch Smartphones und soziale Medien führt zur Verflachung unserer Aufmerksamkeit. Die ausgewählten vier Videoarbeiten der Ausstellung verhandeln das Thema des Rituals und der Kontemplation sowie ihrer Bedeutung für unser Leben.
Thomas Thiede enthüllt die täglichen Einträge aus einem seiner Tagebücher. Während die Kamera die tägliche Zeichnung aufnimmt, liest er seinen Tageskommentar dazu vor. Das Künstlerduo Anne Pfeifer & Bernard Kreutzer zeigt in ‚stairway‘, wie beide immer wieder unterschiedliche Hindernisse in Südkorea überwinden. Lange ist nicht klar, warum die Bewegungen hölzern und unbeholfen erscheinen, da die wichtigste Information, dass die Künstler diese lange Freitreppe rückwärts erlaufen, vom Betrachter selbst decodiert werden muss. Lin Wei-Lung trägt den Schlamm eines Flusses in Taiwan von der Mündung zurück zur Quelle, um ihn dort wieder im Wasser aufzulösen. Er schließt dadurch einen Kreislauf, der an Leben und Sterben erinnert.
Rituale sind fest verankert in den Religionen. In einer katholischen Familie aufgewachsen, sind Judith Albert nicht nur Sakralbilder, sondern auch Rituale – wie die „heilige Wandlung“, die sogenannte Transsubstantiation von Wein in Christi Blut – bekannt, die sie bereits 2011 zu einer gleichnamigen Videoarbeit inspiriert hatte. Die Verwandlung findet hier langsam über einen zentralen goldenen Kelch statt, der immer wieder als Mittler zwischen den Gefäßen von der Künstlerin genutzt wird.

17.01.2020–23.03.2020
Verlängert: 12.05.–29.05.2020

Claudia Starkloff
Im Hortus conclusus im November 2019
Foto: Claudia Starkloff

 

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